1. Auszüge aus einem Gespräch zwischen Magus Taran ibn Muhammed ibn Ayabun ai Orkhiander und Yann Fuxfell von Havena

Es ist gar nicht so einfach, mein Freund etwas Eindeutiges über die Person Lilu zu verlieren. Aber zu welcher interessanten Person ist es das schon? Damit haben wir auf jeden Fall schon mal eine erste Feststellung. Lilu ist durchwegs eine interessante Person. Und sie ist eine Hexe. Allerdings scheint sie keine interessante Hexe in dem Sinne zu sein, wie ich Hexen bis zu Lilu kennen gelernt habe. Doch gibt es auch hierbei stets viele Aspekte zu berücksichtigen und die wenigsten davon sind klar und offensichtlich. Doch das ist ja auch etwas, was eine interessante Person ausmacht. Eine Abweichung von gängigen gesellschaftlichen und moralischen Standards; eine Divergenz zu bisher erlebtem und stets bewusst wieder erlebbarem. Lass es mich einmal so ausdrücken: All die Götterläufe, die wir jetzt miteinander verbracht haben, haben wir ein sehr feines Gespür füreinander entwickelt. Wir alle. Ein jeder kennt den anderen so gut, dass er weiß, was diesen bewegt. Wo Prioritäten liegen, wo Eitelkeiten verletzt werden, wo tiefer Schmerz und größte Freude liegt. Grund hierfür ist, dass wir, die wir uns nun schon seit so vielen Jahren kennen und lesen, oftmals wissen, zumeist wahrscheinlich nur intuitiv, nichtsdestoweniger aber trotzdem wirklich wissen, was den oder die anderen in dieser oder jener Schlüsselsituation bewegt und leitet. Dies ist der Grund, weshalb sich ein tiefes, freundschaftliches, ich nenne es einmal ‘Intuitionsgefüge (intuitives Sozialgefüge)’ herausgebildet hat, was es erlaubt über die Grenzen von Rang, Stand und auch Stolz hinweg ein faszinierendes, ausgewogenes Entscheidungsmuster herauszubilden. Dieses Entscheidungsmuster – man könnte auch von einer Entscheidungskette sprechen – trägt mittlerweile eine eindeutige Struktur, die sich über die vielen, in ihrer Mannigfaltigkeit wohl nur schwer zu überbietenden Situationen, in denen wir uns befanden und in denen wir Entscheidungen trafen, (hierbei spielt es keine Rolle, ob es eine diskutiert bewusste, oder impulsiv unbewusste Entscheidung war) herauskristallisierte.

Diese Abgestimmtheit, die jedwede Lebenssituation in der wir uns befinden – mal mehr, mal weniger harmonisch – leitet und die trotzdem einen eigentlich so grundlegenden Widerspruch wie die Kongruenz von Kollektiv und Individuum zulässt, diese Abgestimmtheit würde ich als das bezeichnen, was wir leben. Ob wir getrennter Wege gehen oder dann wieder gemeinsam oder einmal nur wenige von uns, dann wieder alle; alles fügt sich zusammen zu dem, was ich ‘Unseren Weg’ nennen würde. Welche Faktoren uns auf ihn manövriert haben ist letztlich unwichtig. Ob Schicksal, Götter, Zufall, eigene Entscheidung. All diese Begriffe sind eigene Themen für Philosophen und Gelehrte. Letztlich ist entscheidend, dass wir ihn gehen.

Was nun aber Lilu betrifft, die ja eigentlich der Ursprung Deiner Frage war; nun Lilu läuft einen Pfad, der zwar oftmals doch von unsrigem abzweigt, sich aber letztlich doch wieder mit ihm zu vereinen scheint, so als sei er einem Netzte gleich doch untrennbar so mit ihm verwoben, dass ein Fehlen sich mittlerweile auf das Geflecht im Gesamten auswirken würde.

Lilu bringt viel Unruhe. Das allein ist wohl zweifelsfrei. Und: Sie bringt Veränderung. Doch nur ein Narr fürchtet Veränderungen – Sind sie doch so unausweichlich wie die heterogene essentielle Existentia selbst und fester in ihr verankert, als das Schiff der Zeit in der ersten Sphäre. Nein, Veränderungen gab es immer und es wird sie immer geben; und ein schlechter Fluss ist der, der keine Bäche aufnimmt; versiegt er doch, noch ehe er das Meer erreicht.

Lilu mag uns fremd sein in vielen Dingen. Nicht einsichtig; nicht durchsichtig; und wenig berechenbar, wie uns die Vergangenheit lehrte. Doch wer sind wir, dass wir immer starr an allem festhalten, was wir als Status Quo bezeichnen. Lilu wird auf dem Weg in die Zukunft eine Rolle zu spielen haben; auf die eine oder andere Art und Weise. Vieles von sich verbirgt sie vor uns, genau wie auch wir Dinge verbergen.

Aber manchmal ist es besser ein Geheimnis bei wenigen versiegelt zu haben, als noch mehr Risiko einzugehen als nötig. Das sollten gerade Du und ich, mein Freund, am besten wissen…

2. Magus Taran ibn Muhammed ibn Ayabun ai Orkhiander siniert über Lilu

Was willst du damit sagen? Bei den Zwölfen, wie soll ein Mann unter Praios’ sengender Scheibe immer sofort die Schleier beiseite ziehen um die Wahrheit zu erkennen…

Ach, nun kann sich jeder rühmen klar gesehen zu haben was verborgen war. Gevatter Phex legt dir Honig auf die Zunge aber mich kannst du damit nicht täuschen, auch du hast den Geist nicht im Spiegel gesehen …

Ich glaub dir nicht, mein kleiner Freund, auch wie ich ihren Worten nicht das Gewicht bemessen habe und mir Hesinde noch immer den Blick auf die Wagschale verbirgt. …

Natürlich hat sie auch Anteil daran gehabt und ihre Unterstützung war oft sehr hilfreich aber sagt nicht auch der Büttel dem Dieb: “Eine Hand wäscht dir die andere?” Kamen ihr doch gerade eine Gruppe wehrhafter Recken gelegen um diesem von den Göttern verlassen Ort den Rücken zu kehren und Aves Einzug in ihr Leben halten zu lassen. Und nicht ohne Erfolg ist sie daraus hervorgegangen …

Willst du uns anhängen ihr wäre es schlecht ergangen? Diesen Streich wirst du nicht führen, sie ist nicht von Hesinde verlassen und hätte jederzeit ihren eigenen Weg beschreiten können. Nein, sagen nicht auch die Weisen: “Ein dummer Mann ist wer den alten Krieger nicht respektiert weil er selbst jünger und größer ist. Hat doch der Alte die Weisheit gehabt die Jugend zu überdauern?” So ist es auch mit ihr. Auch dir ist klar, das sie nicht Kräfte in dem Maße sammeln kann wie mein bescheidener Geist dazu imstande ist und wohl auch körperlich nicht gewachsen ist, noch dazu ist sie eine Frau… …

… ähh natürlich sie ist eine Frau, du weißt, das ist uns schon einmal zum Verhängnis geworden. Außerdem ist sie gewitzt und immerhin eine Hexe, dir ist klar, dass man ihren Worten keinen Glauben schenken darf…

Ein Narr wäre ich zu behaupten, denen darf man trauen, natürlich Söldnern auch nicht, schon gar nicht den Halbbluten und den Fuchsdienern, die noch dazu mal Diebe waren, aber das ist was anderes…

Was soll das heißen, ich widerspreche mir? Na weil ich die inzwischen kenne und jedenfalls weiß man bei ihnen auf welches Spiel man sich einlässt, nie würden sie uns ernsthaft übers Ohr hauen, nie…

Ja, du hast ja recht, ich will sie ja auch nicht zu unrecht verurteilen, aber du weißt zum Beispiel was sie mit diesem Kind gemacht hat, jetzt sag nicht da hat sie nicht ihren eigenen Beutel gefüllt…

Na klar macht er das auch, und die andern beiden auch…

Ja ich tue das auch, aber jetzt komm mir nicht so, außerdem ist dann noch immer der Zirkel in dem sie aufgewachsen ist und Verpflichtungen hat. Was wenn denen der Namenlose einflüstert, es wäre ganz gut zum Beispiel uns dem Licht Deres zu entziehehen, was dann…

Ist doch nur ein Beispiel, jetzt schau mich nicht so kritisch an, zugegeben es war nicht gerade von Hesinde gesandt…du willst mich wohl nicht verstehen…

na gut, sie hat sich inzwischen eigentlich bewährt aber sie ist doch so oft launisch…

Schon wieder “sie ist eine Hexe” das ist deine Antwort für alles was?

Ja eigentlich schon, ja ich bin auch ganz froh wenn sie dabei ist… jetzt zufrieden? Dann lass mich weiterarbeiten und versuch nicht die Leine abzustreifen…

3. Auszug aus dem Bericht Corans über seine Gefolgschaft an Somena Talligorn

” … Unerzogen ist das Weib; und undiszipliniert! Gleich einem Wilden scheint sie bislang fern gehalten von jeglicher Zivilisation; hat sie doch augenscheinlich keinerlei Achtung vor der Autorität von Edlen und, was noch ärger zu erwähnen, von Kirchenmännern! Eine jegliche Order von solchen mag sie in geradezu tumber Abwesenheit zu überhören. Es ist mir schleierhaft, wie der Edle Wolfhart diesen derben Bruch der Etikette zu dulden pflegt; untergräbt das Weib doch oft in aller Öffentlichkeit die Würde seines Standes und zieht damit die Ehre seines Blutes in den Dreck. Diese offenen Beleidigungen, dessen seid Euch gewahr, pflege ich in keiner Weise zu tolerieren; und ich werde auch nicht müde, das Weib für solcherlei Respektlosigkeiten zu züchtigen. Allein, dies muss Erwähnung finden, trägt sie das Herz am rechten Fleck; so mag doch Hoffnung ich für die Seele des Weibs hegen, bei Hesinde! Auch der Furchtsamkeit mag sie wohl keiner anklagen; drängt es mich doch im Gegenteil, sie eher mit törichter Unbekümmertheit zu prädizieren; was bislang ferner dazu führte, dass sie ob ihres Ungehorsams, nicht selten nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Kameraden zu gefährden droht in diesem Doppelspiel der Eigenheiten. Wohlan, dieses eine ist von allen Undingen das gravierenste, das zu bemängeln ich Euch zu berichten habe; nämlich dieses, dass sie trotz ihres adulten Alters grausam ungebildet ist. Indes, ich weiß sie dort in guten Händen; denn niemand geringerer als der Vogtvikar Yann Fuxfell von Havena selbst ist es, der sie als ständiger Begleiter zu seinem Zögling auserkoren. So ist es, wenn denn einer dieses wilde Weib zu unterrichten und zu bilden weiß, dann dieser Mann. So Ihr mich also fraget, ob ich dächte, dass sie in Spannung lebt und die Gefährten zu gefährden droht, so ist meine Antwort diese: nicht mehr, denn auch eine frühreife Magd; denn es ist nicht ihre Gesinnung, die ich zu bemängeln hab’, noch ihre Treue gegenüber dem Edlen Wolfhart und den anderen; es ist ihre grausame Unerzogenheit; sie ist eine Wilde, die in den üblichen Jahren augenscheinlich gewaltsam ferngehalten wurde von jeglicher Bildung, welche sie nun mit selbem Widerstande zu durchfahren hat, wie alle übrigen Mägde, die ihre Lektionen zu lernen haben; wiewohl auch dieses eben ihr eigen ist, dass sie den Geiste eines Weibes und nicht jenen einer jungen Magd besitzt. Und dieser ist bekanntlich schon beharrlicher, denn jener. Vertrauet also auf die Zeit und ihre Lehrer; denn wenn auch unerfahren so ist das Weib doch aufrichtig und furchtlos, mit einem Herzen, das die rechten Dinge weiß; wiewohl sie auch noch nicht beim rechten Namen zu nennen vermag.”