Sanftes gelbrotes Licht schwebt im großen Saal des Gutes Wetterfels. Das unstete knistern und krachen des Kaminfeuers erfüllt den Raum. Die Tafel ist leer, bis auf zwei Gedecke. Es ist Ruhe eingekehrt auf Wetterfels und das Madamal ist schon hoch am Himmel. Schwarze Wolken ziehen vor ihr her und versprühen einen leichten, warmen Flimmerregen. Zwei Kerzen stehen bei jedem Gedeck und zanken mit dem Feuer um die Schatten. Der Lehensherr, am Kopf der Tafel, hebt seinen steinernen Krug zu einem mächtigen Schluck. Das flammene Schwert der Angbarars ziert den Krug, der mit viel zu süffigem Bier gefüllt ist. Mit wenigen, glucksenden Zügen leert er den Krug, stellt ihn vor sich und greift erneut zur Karaffe. Mit beiden Händen umfasst er nun den vollen Krug und starrt auf den wenigen Schaum, den das Bier zustande bringt. Unnatürliche Falten schlägt das Feuer ins Gesicht des jungen Herren und lässt zugleich das einfache Kettenhemd in herrschaftlichem Gold erscheinen. Ebensolches Gold, in dem das geflammte Schwert hinter seinem Rücken glänzt. Zu Rondras ehren hängt es nun an der Wand des großen Saales.

Es gibt nur diesen einen Saal auf Gut Wetterfels und verglichen mit den großen Häusern Albernias ist er unbedeutend klein, doch das Gewicht der Entscheidungen, die er zu hören bekommt wächst rasant. Vor noch wenigen Jahren hatte Wolfhart glücklich die Akademie verlassen und ist sorglos nach Havena gewandert, dem Hafen zur Welt.

Ein lautes Krachen reißt den Ritter aus seinen Gedanken. Immer noch schaut ihn sein treuer Gefährte wartend an. Auch die weißen Strähnen in dessen sonst tiefschwarzem, langem Haar sind in flackerndes Gold getaucht und in seinen Augen spiegelt sich Feuer. Wolfhart hebt das kantige Gesicht, schaut seinem Freund in die Augen und setzt zum sprechen an. Auch seine Stimme hat sich in seinen Ohren verändert. Ein tiefes, raues Grollen ist sie geworden, selten mehr lieblich.

“Zu oft hab ich deine Fragerei jetzt barsch abgewiesen, als das man meinen könnte, ich spräche leicht über mich, aber du lässt mir ja doch keine Ruhe.” Vielleicht ist es nur ein Schatten des Kerzenlichts, vielleicht aber auch ein nettes Siegesschmunzeln, das seinem Freund über die Lippen huscht. “Coran, ich bin ein Kind der Zwölfe und ich bin froh, dass du nicht an meiner Würde noch an meiner Ehre zweifelst. Eine derartige Beleidigung hätte auch nur zu unnötigem Blutvergießen geführt.” Fast ein ganzes Lächeln prägt sich bei dieser Bemerkung in die Züge des Ritters. “ Und ich bin ein Krieger. Freilich steht mir drum die Göttin Rondra näher als der Rest der Zwölfe. Aber Coran, ich habe schon oft über meinen Platz im großen Kampf nachgedacht und das auch schon lange bevor wir unsere Wege gemeinsam gingen. Und oft schon, mein horasischer Freund, sind mir Rondras Tugenden der einzige Halt auf meinem Weg gewesen. Aber sie sind mir stets ein Seil, das mich hält und nicht eine Fessel, die mich bindet. Ich bin ein Krieger, kein Geweihter. Ich kämpfe und ich habe mein Leben lang gekämpft, weil das Leben nun mal Kampf bedeutet. Ich kämpfe für Rondra, alle Zwölfe und das Reich. Zu oft, hat mich das Feuer Angroschs gebrannt und der Atem Firuns gefroren und zu oft habe ich aus Liebe zu Yann die Nebel Phexens durchschaut, als das ich nunmehr Rondra allein meine Treue schwören könnte. Nein, Sakrale Führung ist es wahrlich nicht was ich mehr bräuchte. Allen Regeln der Götter, das weist du, kann ein Mensch zur selben Zeit nicht genügen.” Das geprägte Lächeln ist der gewohnten Ausdruckslosigkeit gewichen und mit prüfendem Blick spricht Wolfhart fort. “Und Coran, treuer Streiter der Leuin, ich glaube nicht das irgend ein Mensch je in der Lage wäre, am Ende, den ganzen Willen, auch nur von einem der Zwölfe, zu benennen. Dem zur Folge müssen und können wir immer nur das tun, was in unseren Augen gut ist. Und wahr ist es wohl, das, wo Menschen zur Tat schreiten, Menschen auch scheitern können, aber das allein ist nicht Grund genug um an der Menschen Götterfürchtigkeit zu zweifeln! So zweifle nicht an der meinen.

Freilich könnte ich mich noch, wie du es getan hast, der Göttin verschreiben. Aber so würde ich doch alles, was ich bis hier geworden bin leugnen, ich wäre nicht mehr Wolfhart, der Krieger den du kennst.” Wolfhart löst seine rechte Hand vom Krug und streckt sie seinem Gefährten entgegen. Langsam dreht er die Handfläche nach oben und Coran kann die lange, fransige Narbe sehen, die im Schein von Angroschs liebstem Element tief rot glüht. “Einen Schwur, den ich Angrosch geleistet habe halte ich hier in meiner Schwerthand und du warst selbst mit im ewigen Eis und kennst die Treue, die Firun uns abverlangt hat. Das alles kann ich nicht bei Seite lassen. Coran, mein horasischer Freund, wir gehen alle unsere Wege, also lass uns nicht darüber den Schädel zersprengen.” Fließend führt der junge Ritter und Lehensherr seine Rechte zurück zum Bierkrug und gönnt sich noch ein, zwei Schlucke von dem wärmenden Gerstensaft, um dann freundlich lachend hinzuzufügen, dass das Gebräu seine Bruders diese Arbeit eh weit besser verrichten würde. “ Lass uns lieber froh sein über den Weg den wir gemeinsam schreiten können, in Ehre und Würde wie es zwei Recken von unserem Schlag gebührt.” Dabei steht Wolfhart auf von seinem Stuhl, beugt sich mit dem Oberkörper über den Rand der Tafel und gibt seinem noch nachdenklich dreinschauenden Freund einen kameradschaftlichen Schlag auf den Rücken, das es seinen schwarzroten Umhang, mit dem vertrauten Drachenbild, weit verrutscht. “Zum Beispiel den Weg zu unseren Betten.

War es wieder der “kalte Alrik” ?

Diese Bezeichnung hatte sich schon im hohen Norden gefunden, um im Scherz von der unheimlichen, eisigen Bedrohung abzulenken. Nachdem die beiden Krieger am Abend zuvor schweigend zu Bett gegangen sind, und sich der letzte treue Diener um die Speisen und das Feuer gekümmert hatte, fiel Borons Schleier wie ein Segen über das Lehen von Wolfhart Angbarar, am Rande des Kosch, im Monat des Götterfürsten.

Jetzt steht Wolfhart in der Stube des Geweihten. Noch im Nachthemd, ungewaschen und fast noch selbst im Schlaf. Wieder hatte ihn ein markerschütternder Schrei aus der Hand Borons gerissen und wieder starrte Coran auf seine Narbe und die Zeichen der Schlacht an seinem Körper. Auch dieses Mal verlangte es Wolfhart danach sofort zu seinem Freund zu eilen und erneut wurde er sich erst jetzt über sein Schwert in seiner Rechten gewahr. Die Ereignisse, welche sich in Havena zugetragen hatten, haben sich tief in die Kriegerherzen eingebrannt.

“Ja”: sagt Coran und Wolfhart kann spüren wie sich der Frost in seinen Rücken krallt. Alles hinterlässt Spuren, auch wenn man sie nicht sehen kann.

Gemeinsam waschen sie die Nacht aus ihren Gesichtern um wie jeden Morgen schweigend der Göttin im Kampf zu huldigen. Unweit vom Gut und dem kleinen Dörfchen Wetterfels hat es eine Lichtung im Wald, gerade groß genug für den Tanz zweier Krieger. Nach dem kleinen Lauf zurück war es gerade an der Zeit, nachdem Diener das Vieh versorgt hatten, um sich ein gutes Mahl bereiten zu lassen.

Sie speisen gemeinsam im großen Saal.

Coran hat die Tracht seines Ordens angelegt und Wolfhart trägt den blauweißen Überwurf mit seinem eigenen Familienwappen.

“Wir haben viel gesehen, gehört und getan, seit wir in meinen Lehen sind Coran.” Eröffnet Wolfhart das Gespräch. Er kaut ein gutes Stück Käse und schneidet sich von dem Schinken ab. “Ja, das haben wir wohl” erwidert sein Freund und spült das körnige Schwarzbrot mit einem Schluck Wasser hinunter.

“Ich werde heute nach Winhall reiten. Ich muss mich endlich bei meiner Gräfin vorstellen und will diese Gelegenheit auch gleich nutzen um mich mal für meine Leute einzusetzen. Es steht dir natürlich frei mich zu begleiten, wenn sie mich überhaupt empfängt. Vielleicht hat man ja auch den Namen Wardmann schon mal in Winhall gehört. Es ist nur ein Gefühl, aber es würde mich nicht überraschen, wenn man seinen Namen unter Söldlingsvolk kennen würde.

Du hast noch kein Wort zu meinem Müller verloren, Johnic – bist doch sonst nicht so schüchtern.” Wolfhart biss sich derweil noch ein Stück vom Brot und Schinken ab. “Und du hast mir immer noch nichts zu Durin oder sollte ich besser sagen Xiandru gesagt.” Erwidert Coran ebenso kauend, mit dem Blick starr auf den Käse gebannt, als wolle er einen Angriff vorhersehen.

“Ja, Durin unser kleiner, grimmiger Freund.” Ein Seufzen kommt über den Ritter, fast so, als würde er sich an einen toten Kameraden erinnern. Doch sein Gefühl für Durin, den Zwerg, war weit weniger eindeutig. Irgendwo zwischen Wut, Angst, und Liebe. “Durin ist ein starker, kleiner, dummer Kerl, aber er ist klug genug um einen Feind von einem Freund zu unterscheiden. Was Xiandru inzwischen auch immer in der Lage ist zu tun, ich glaube fest daran, das es das nicht ändern kann.” Wolfhart hatte aufgehört zu essen und einen Schluck Wasser getrunken. Es war nicht schwer Corans zweifelnden Blick zu bemerken. “Was denkst du denn, was wir noch dagegen tun könnten, wir haben viel zu lange gewartet, viel zu lange nichts getan. Wir haben unsere Entscheidung schon längst gefällt, ob sie uns jetzt passt oder nicht spielt keine Rolle mehr. Neue Entscheidungen stehen vor uns, und da meine ich, gegen das Namenlose zu ziehen kann nur im Sinne der Zwölfe sein.”

Einige kleine strahlend weiße Wolken schoben sich neckisch vor die Praiosscheibe. Es war einer dieser herrlichen, albernischen Himmel. Einer unter dem man Freiheit und Glück spüren, ja beinahe greifen kann.

“Ich bin im übrigen der Meinung, das Johnic noch eine Chance erhalten soll.”

Wolfhart steht mit diesen Worten vom Frühstückstisch auf, nimmt seine Sachen, klopft Coran nochmal auf die Schulter und geht Richtung der Doppelflügeltür des große Saal. “Ich reite in einer halben Stunde los, du weißt ja wo du mich findest. Und, Coran, ich wollte mich auch um die sakralen Belange meiner Leute kümmern, wenn du mich also begleiten möchtest, wäre mir sehr daran gelegen.” Als er das beim hinausschlendern gesagt hat musste Wolfhart Coran noch ein jungenhaftes Grinsen zuwerfen. Er ging ohnehin davon aus, dass Coran ihn begleiten wollte.