Irion Angbarar, der Sohn eines Senners, war neunzehn Götterläufe alt, als sein Vater starb und es an ihm war seine kranke Mutter zu versorgen. Alleine konnte er das nicht und so war er gezwungen zuzusehen wie Haus und Hof immer mehr verkamen. Auch die Krankheit seiner Mutter besserte sich nicht und wenige Monate nach ihrem Mann starb auch sie.

Hilflos und völlig überfordert suchte Irion Unterstützung bei der Dorfgemeinschaft. Brongar, der Dorfälteste, riet ihm in die Stadt zu gehen, sich Arbeit und eine treue Frau zu suchen, um eine Familie zu gründen. “Das wird dich glücklicher machen als ein Leben allein in unserem Dorf.” Doch viele der Dorfbewohner sahen darin die Machenschaften Brongars, mit dem Ziel sich das Land von Irions Vater zu erschleichen. Irion, so gewarnt, versuchte also sein Land zu bearbeiten und Haus und Hof wieder aufzubauen. Aber das Ringen der Fürsten um Macht kam ihm in die Quere.

Das Reich war zu dieser Zeit ohne Kaiser und seine Nachfolge war umkämpft. Nicht das die einfache Bevölkerung mit den hohen Steuern schon zu genüge belastet gewesen wäre, nein, es kam zur offenen kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Fürsten, so das die Büttel Männer im kriegsfähigem Alter zum Dienste im Heer heranholten. Irion war einer der ersten die dem eisernen Griff des Fürsten Folge leisten mussten. Hatte er doch weder Weib noch Kind. So ging im Verlauf der Kriegsmonate in Irions Leben sein ganzes Land an Brongar. Und im Kriegshaufen des Fürsten war das Leben für ihn auch nicht das einfachste. Aber Irion war noch jung und sein Wille zu leben war groß und als die Schlachthörner riefen, Signale über die Felder schallten und die Kriegsmänner sich entgegen rannten, brach sich seine Bitterkeit bis zu seinen Feind frei. Er kämpfte wie ein Berserker, ließ keine Klinge an sich heran, wie er auch sonst nur wenige Menschen an sich heran ließ, mähte durch die Schlachtreihen, einer Sense gleich die trockenes Gras schneidet und schien ein Götter gegebenes Talent für die Schlacht zu haben. Nach jeder Schlacht wussten all seine Kameraden sich Geschichten über das Glück, das Können und die übermäßige Gefahr zu berichten, die von Irion ausging. Zu neuen Männern im Schlachthaufen sagte man bereits; “Bleibt in der Nähe von Irion, dann wird euch nichts passieren.”

Er fiel seinem Fürsten schon bei der ersten Schlacht auf, aber erst nach der letzten Schlacht, in der Irion auch nur leicht verletzt wurde, rief er seinen treuen Krieger zu sich. Irion dessen Kette in Fetzten hing und der seinen Schild müde von sich warf, erhob sich voller Stolz und trat seinem Fürsten, dem neuen Kaiser entgegen.

Vor den überlebenden Kameraden, den besiegten Feinden und den Weibern, die sich um die Verletzten kümmerten und den Geweihten, die den Toten das letzte Geleit in Borons Hallen gaben, sprach der Fürst Irion den lebenslangen Adelstitel und ein Lehen des Kaisers in der Grafschaft Winhal zu. Das Lehen war nicht groß und auch nicht in bestem Zustand, aber Irion war nicht als Adeliger geboren und harte Arbeit gewohnt. Er arbeitete viel mit den eigenen Händen und war wegen seiner Unkompliziertheit schnell beliebt beim einfachen Volk. Sein Können in der Kunst des Kampfes stellte er in der Kämpferschule zur Verfügung, doch merkte er alsbald, das er wohl zum guten Kämpfer taugt, nicht aber zum geduldigen Lehrer. Also entließ er die Schule in die Eigenständigkeit und hatte lediglich darauf Einfluss, wenn es um die Rekrutierung von Freiwilligen für die Landwehr ging.

Mit zunehmendem Alter wuchs in ihm der Wunsch nach einer Familie und so kam es, daß er Livia, die Tochter eines Hesindegeweihten zu seiner Frau nahm. Ein Bericht, wahrscheinlich aus ihrem Tagebuch beschreibt, wie sich beide nach einer unwichtigen Streiterei trennten. Irion zog unverzüglich mit seiner alten Axt gen Norden in die Berge und ließ Livia mit den Kindern, die schon fast im Mannesalter waren, wartend zurück. Lange Jahre wartete die Familie auf die Rückkehr ihres Vaters, doch erleben durfte sie niemand mehr.

So hat Irion den Grundstein für unser Geschlecht gelegt.

Und wir halten fest an unserer Kriegertradition und Kaisertreue über alle Generationen hinweg . Conar und Ich haben und werden dafür sorgen, dass das so bleibt, so sehr sich unser Haus verzweigen mag. Nur so werden wir den uns angemessenen Platz im Reich bekommen und behalten.

— Erzählt von Rodergon Angbarar auf Gut Wetterfels am Nachtbett von Wolfhart Agbarar seinem Sohn, 10 Hal

Anmerkungen

In diesem Sinne wurde Wolfhart erzogen. Er besuchte seit seinem sechsten Lebensjahr zusammen mit seinem ältesten Bruder Elbrecht die Kriegerakademie. Sein jüngerer Bruder Vitus kam in die Obhut der rondrianischen Kirche. Wolfhart durchlief die Ausbildung zum Krieger und mit seinem Bruder zusammen erhielt er, vor seiner Zeit, das verbriefte Recht eines Kriegers. Als Zweitgeborener jedoch, stand es ihm nicht zu, die zukünftigen Geschicke der Familie lenken zu dürfen, was Wolfhart auch gar nicht wollte. Geschäfte auf dem Gutshof waren ihm nie leicht gefallen und schon die ersten Aufgaben mit den Bauern und Brauern waren für ihn keine Guten. Auch ließ er noch nie das nötige Gespür für Verantwortung erkennen. Dennoch liebt Wolfhart sein Land und freilich tut er das auch in dem Wissen, daß irgendjemand diese “staatstragenden Geschäfte” erledigen muss, nur das er es von Herzen nicht sein wollte, als er damals nach Havena zog.

In Liebe trennte er sich von seiner Familie um das Kaiserreich kennen zulernen und vielleicht auch, so träumte er zumindest, um gefährliche Abenteuer zu bestehen und als ein im ganzen Land geachteter Held wiederzukehren. So zog er denn los nach Havena. Mit seinem heutigem Wissen muss er mit einem Schmunzeln feststellen, das einwenig ungefährlichere Träume wohl auch seinen Abenteuerdurst gestillt hätten. Doch beklagt er sich nicht, solange das andere für ihn tun. Zudem hat er nicht nur Trauer, Schmerz und Entbehrung gesehen, sondern auch wunderbare Feste, Länder und Freunde. Viel Feind hieß schon immer viel Ehre und in der größten Gefahr sind die größten Freundschaften gewachsen.

Trotz aller Erfahrung und kriegerischem Können, wofür es sich zu Leben lohnt, ist Wolfhart kein guter Schlachtenführer. Vielleicht entwickelt er sich noch zum großen Heerführer, vielleicht bleibt er aber auch für immer der einfache Krieger. Weder das eine noch das andere strebt er an, eher bleibt abzuwarten in welchen der Gewässer er schwimmen lernen muss.

Wieder schaut Wolfhart zurück und sieht starke Freundschaften, starke Bindungen die ihn mit seinem Land und seinen Aufgaben verwurzeln. Und eben diese haben ihn wohl zum Führer gemacht. Nie hat er das gewollt und wenn er recht überlegt, will er das auch noch immer nicht. Aber das Schicksal fragt nicht nach, wenn es über einen kommt. Und man hat nur die Möglichkeit es zu packen. Es zu packen und nicht mehr loszulassen, sonst macht es was es will. Das Schicksal ist ein seltsames Ding und Heldenmut oder Wahnsinn treibt die, die es fordern.